Kommunalforum 2018

„Stadt und Land - Wie wollen wir in Zukunft leben?“ - das Leitthema des 22. Kommunalforums der Sparkassen-Finanzgruppe.

Gleiche Bedingungen für Stadt und Land schaffen

„Stadt und Land - Wie wollen wir in Zukunft leben?“ Das war das Leitthema des 22. Kommunalforums, zu dem der Sparkassenverband im Oktober nach Baden-Baden einlud. Rund 500 Gäste kamen nach Baden-Baden, unter ihnen 230 Landräte, (Ober-)bürgermeisterinnen und -bürgermeister. Sie alle konnten Impulse für ihre Arbeit sammeln.

"Wir haben eine sehr gute Ausgangsposition" stellte Sparkassenpräsident Peter Schneider gleich zu Beginn fest. Der heutige hohe Lebensstandard im Land sei nicht zuletzt auch ein Verdienst der Sparkassen. Durch ihre Präsenz in der Fläche, als zuverlässige Finanzpartner des Mittelstands, als Arbeitgeber, Steuerzahler und Sponsoren seien sie für Kommunen ein verlässlicher Partner.

Das solle, so Schneider, auch weiter so bleiben. Allerdings reagiere die Finanzgruppe auf die technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. "Die mit Abstand am häufigsten besuchte Filiale ist die Internet-Filiale. Dort sind unsere Kunden im Schnitt 200 Mal pro Jahr", rechnete der Sparkassenpräsident vor. Wer die persönliche Beratung suche, sei aber auch künftig in guten Händen: "Wir gehen weg von der klassischen Filiale mit ein bis zwei Mitarbeitenden und setzen stattdessen auf Beratungszentren, mit hoher Kompetenz."

Baden-Badens Oberbürgermeisterin Margret Mergen unterstrich die Aktualität des Tagungsthemas und warnte davor, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen. Für Regionen diagnostizierte sie eine Renaissance des Landlebens, das viele Aufgaben mit sich bringe: so etwa den Ausbau der Digitalisierung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Verkehrserschließung und das Beleben des regionalen Einzelhandels.

Wirtschafts- und Arbeitsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut warb dafür, das Thema Digitalisierung mit Hochdruck und Überzeugungskraft anzugehen. Das Thema sei deshalb so drängend, weil in Baden-Württemberg die Industrie in der Fläche liege. "Die Innovationskraft unserer Wirtschaft ist der Schlüssel", betonte sie mit Blick auf die regionale Weiterentwicklung. Entscheidend sei es, kleinere und mittlere Unternehmen bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Dies könne zum Beispiel durch regionale Digitalisierungszentren geschehen, aber auch durch staatliche Programme wie die Lernfabrik 4.0. Hoffmeister-Kraut: "Wir haben es in der Hand, den technisch-gesellschaftlichen Fortschritt so zu gestalten, dass wir das innovative Land bleiben, das wir heute sind."

Diese Meinung vertrat auch der geschäftsführende Direktor des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), Prof. Dr. Wilhelm Bauer. Nach seiner Ansicht gibt es keine Alternative zu der weltweit zunehmend vernetzten und voll digitalisierten Welt.

Der Wissenschaftler warnt davor, "nach der ersten auch die zweite Halbzeit im globalen Wettbewerb mit den USA oder China zu verschlafen". Die erste Halbzeit sei an Amazon, Google und Apple gegangen. In der zweiten Hälfte, die noch viel wichtiger sei, gehe es um die Herausforderungen in der industriellen Wertschöpfung, in der industriellen Produktion etwa von Autos, Maschinen und Dienstleistungen oder auch von Nahrungsmitteln. Bauer: "Da sind wir Spitze und da müssen wir auch führend bleiben."

Wie sich Ulm für die Zukunft fit macht, schilderte Oberbürgermeister Gunter Czisch. "Was müssen wir jetzt auf den Weg bringen, damit wir im Jahr 2030 so gut dastehen wie heute?", beschrieb er die zentrale Frage. Im Rahmen der "Zukunftsstadt Ulm 2030" setzt sich die rund 125.000 Einwohner zählende Stadt seit 2015 mit den Möglichkeiten und Veränderungen auseinander, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Vorrangige Themen wie Energie, Mobilität, Infrastruktur oder Verkehr sind in eine Innovationsstrategie geflossen, seit 2017 gibt es die Geschäftsstelle Digitale Agenda.

"Ein gutes Beispiel für Partizipation ist die Entwicklung eines neuen Stadtquartiers auf dem Areal der Hindenburgkaserne", erzählt Czisch. "Von Anfang an konnten die Bürger ihre Ideen und Vorstellungen mit einbringen." Mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung sagt er: "Wer bisher stolz gewesen ist, die eigenen Angelegenheiten selbst in der Hand zu haben, muss alles dafür tun, dass nicht Google & Co die Dinge für einen übernehmen, sondern dass man auch in Zukunft selbst bestimmt."

Der Bürgermeister der Gemeinde Amtzell, Clemens Moll, zeigte anschließend auf, wie sich sein Ort für die digitale Zukunft aufgestellt hat. Amtzell, eine rund 4200 Einwohner zählende Gemeinde im Kreis Ravensburg, ist ein Paradebeispiel dafür, dass Landgemeinden nicht unweigerlich aussterben müssen, wenn sie rechtzeitig attraktive Ideen für die Zukunft entwickeln. Gegen jeden demografischen Trend verzeichnet Amtzell ein starkes Bevölkerungswachstum.

Doch trotz dieser positiven Entwicklung warnt Bürgermeister Moll davor, dass der ländliche Raum abgehängt wird, wenn der Glasfaserausbau nicht schnell genug voran kommt. "Digitalisierung ist nicht nur Zukunft, sondern bereits Teil der Gegenwart", sagt er. Als "Digitale Zukunftskommune" wurde Amtzell in diesem Jahr ausgezeichnet und erhält jetzt Fördermittel von Seiten des Landes zur Ausarbeitung einer kommunalen Digitalisierungsstrategie. "Auch als kleine und ländlich geprägte Gemeinde kann man sich der Digitalisierung erfolgreich stellen".

Für Optimismus im Blick auf die technologische Entwicklung warb Innovations-forscher Sven Gábor Jánszky. Er griff in seinem Vortrag verschiedene, vornehmlich technologische Bereiche heraus und illustrierte sie anhand von Beispielen. Ausführlich sprach er über den Nutzen von Daten. In viele Institutionen würde dieser Zukunftsrohstoff noch mit Tabellen und Adresslisten gleichgesetzt. Viel interessanter seien hingegen Echtzeitdaten, mit denen sich zum Beispiel Staus rechtzeitig erkennen und vermeiden ließen. Mit den derzeit aufkommenden Quantencomputern sei die Auswertung solcher Daten künftig sekundenschnell möglich.

Für den Philosophen und Bestsellerautors Richard David Precht, der zum Schluss des Kommunalforums sprach, bestehen keine Zweifel, dass die Digitalisierung unser Leben von Grund auf verändern wird: "Im Unterschied zu politischen Revolutionen sind technologische Revolutionen nicht umkehrbar", erläuterte er in seinem Vortrag. Ein politisches System könne in ältere Zustände zurückverfallen, die technische Entwicklung hingegen nicht. Precht gab zu Bedenken, dass vielen Zeitgenossen die Konsequenzen der digitalen Revolution bislang nicht bewusst seien: "Wir leben in einer Revolution, aber es fühlt sich nicht so an."

In seinem Vortrag zeichnete er ein differenziertes Bild des digitalen Zeitalters. So geht er davon aus, dass es durch Rationalisierungen schon bald keine durchgängige Vollbeschäftigung mehr geben werde. Betroffen seien davon unter anderem qualifizierte Berufsgruppen wie Steuerberater und Juristen, deren Expertise künftig durch intelligente Maschinen ersetzt werden könnte.

Umgekehrt ist er davon überzeugt, dass die Digitalisierung nicht so viele Bereiche umkremple, wie in der Innovationsforschung oft angenommen. Der Grund: Die gesellschaftliche Akzeptanz fehle. Erziehungsroboter im Kindergarten könnten unter Umständen Kinder besser und fairer fördern als ein Mensch, dennoch "würden Sie ihr Kind in einen solchen Kindergarten nicht schicken". Ähnliches gelte für Ärzte, die nicht nur aus medizinischen Gründen aufgesucht würden, sondern auch, weil sie zuhören, Auskunft geben und Nähe schenken.

"Die messbare Seite der Welt ist nicht die ganze Welt", gab Precht am Ende seines Vortrags zu bedenken. Man müsse deshalb darauf achten, nicht mit falschen Parametern zu arbeiten. Entwicklung verlaufe nicht in linearen Prozessen. Alles Wichtige im Leben entzöge sich dem Schema von Problem und Lösung. Aus Sicht des Philosophen ist das ein klarer Vorteil: "Wenn alles nach Plan läuft, wird das Leben langweilig."

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